In Europa kommen natürlicherweise vier Arten Landschildkröten (Testudo) vor: Die Griechische Landschildkröte (T. hermanni), die Maurische Landschildkröte (T. graeca), die Breitrandschildkröte (T. marginata) und die Vierzehen-Landschildkröte (T. horsfieldi). Diese teilen sich in mehrere Unterarten auf, wobei die Unterartengliederung im Detail noch unklar und unter Fachleuten heftig umstritten ist.
Die Griechische Landschildkröte, die am häufigsten in menschlicher Obhut gepflegt und gezüchtet wird, gehört der Unterart Testudo hermanni boettgeri an, deren Verbreitung sich über die gesamte Balkanhalbinsel zieht. in den 1960er bis 1970er Jahren wurde diese Schildkröte in riesigen Mengen als Devisenbringer aus dem Ostblock - vor allem aus Bulgarien und dem ehemaligen Jugoslawien - als „pflegeleichtes Heimtier“ exportiert. Die miserable Unterbringung vor dem Export und die katastrophalen Transportbedingungen führten dazu, dass sehr viele Exemplare so schwer geschädigt wurden, dass sie noch im ersten Jahr starben. Die Tiere, die diese Tortur überstanden, verstarben dann oft während der unsachgemäß durchgeführten Überwinterung. Nur ein kleiner Prozentsatz gelangte in die Hände wirklich verantwortungsbewusster Pfleger. Mit steigendem Umweltbewusstsein mehrten sich die Stimmen unter den Terrarianern, die ein Ende dieses verantwortungslosen Massentierhandels forderten. Man bemühte sich um eine fachkundige Pflege und um Aufklärung der Bevölkerung. Der Erfolg war großartig. 1980 wurde für die europäischen Landschildkröten ein Importverbot für Wildfänge erlassen, das seither gilt. Die Nachzucht gelingt inzwischen planmäßig in so großem Umfang, dass der Bedarf für die Heimtierhaltung davon gedeckt werden kann. Es gibt aber einen Schwarzmarkt, der vor allem so genannte „Urlaubsmitbringsel“ betrifft. In Teilen der Ursprungsländern der Schildkröten werden diese Tiere Touristen immer noch als Souvenirs angeboten.
Leider wurde es den Terrarianern nicht nur schlecht gedankt, dass sie sich so vehement für den Artenschutz eingesetzt hatten, sie wurden sogar kriminalisiert. In der öffentlichen Meinung wurde ein Bild von Terrarianern als skrupellosen Tierverbrauchern gezeichnet, der ihnen bis heute anhaftet. Dabei waren es nie die Terrarianer, die die Massenimporte zu verantworten hatten, sondern die Regierungen der Exportländer und naive Tierhalter, die sich nicht mit der komplexen Materie der Reptilienpflege befassten, sondern Schildkröten analog zu Kleinsäugern (Hamster, Meerschweinchen, Kaninchen) glaubten versorgen zu können - mit in aller Regel tödlichen Langzeitfolgen für die Schildkröten.
Der Gesetzgeber hat eine umfangreiche Bürokratie für die Halter und Züchter von Landschildkröten geschaffen, die heutzutage leider viele Menschen davon abschreckt, sich mit der Haltung und Zucht dieser interessanten Tiere zu beschäftigen. Im Wesentlichen geht es darum, dass der Handel und auch die private Haltung von Wildfängen der drei Arten T. herrmanni, T. graeca und T. marginata streng und grundsätzlich verboten sind. Die Nachweispflicht, dass eine Schildkröte der drei genannten Arten ein legal erworbenes Nachzuchtexemplar ist, liegt beim Halter. Es wird vom Gesetzgeber grundsätzlich unterstellt, dass eine strafbare Handlung vorliegt, wenn dieser
Nachweispflicht nicht entsprochen werden kann. Die Unschuldsvermutung, die in der gesamten sonstigen Rechtsprechung in Deutschland gilt, ist für die Tier- und Pflanzenhaltung außer Kraft gesetzt. Es ist darum wichtig, ausnahmslos Tiere mit ordnungsgemäßen Papieren zu erwerben und diese dann bei der zuständigen Behörde (bei uns das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt) zu melden. Nur dann kann man die Tiere später weitergeben, vor allem sind nur dann eventuelle Nachzuchten legalisierbar.
Mit dem Importverbot rückte die Notwendigkeit der Nachzucht von Landschildkröten in den Fokus, um weiterhin diese faszinierenden Tiere für ernsthafte Terrarianer zur Verfügung zu haben. Die Optimierung der Pflegebedingungen führte schon bald zum Erfolg, es kam bei Gruppenhaltung, guter, artspezifisch richtiger Ernährung und gut eingerichteten und richtig strukturierten Terrarien (s.u.) regelmäßig zur Ablage befruchteter Eier. Als schwierig erwies es sich noch, die richtigen Brutbedingungen herauszufinden, also die günstigste Bebrütungstemperatur, Substrat- und Luftfeuchte. Damals, in den frühen 1980ern, wusste man noch nicht viel über die Bebrütung von Reptilieneiern generell, speziell wusste man noch nichts darüber, dass das Geschlecht der Babies darüber determiniert wird, welche Temperaturen zu bestimmten, kritischen Zeitpunkten der Bebrütung (Inkubation) herrschen. Darum kam es sehr oft zu extrem unausgeglichenen Geschlechterverhältnissen in den Bruten. Sie bestanden teils nur aus Männchen und manchmal auch nur aus Weibchen. Auch die Aufzucht der Schlüpflinge war problematisch. In der Natur findet man so gut wie nie neu geborene Schildkröten. Sie sind einer riesigen Anzahl von Feinden schutzlos ausgeliefert und leben darum sehr versteckt. Man bedenke: eine weibliche Griechische Landschildkröte legt im Laufe ihrer 40-50 Jahre, in denen sie reproduziert, 250-300 Eier, oft erheblich mehr (ein Gelege umfasst maximal 14 Eier, meist aber 3-6), wovon insgesamt im Durchschnitt in der Natur nur 2-3 der geschlüpften Tiere die Jugendphase überleben und selbst reproduzieren. Vor allem fütterte man zu üppig, wobei „Leckerbissen“, wie Obst, Gemüse, in Milch eingeweichte Brötchen, Hackfleisch etc. eine dominante Rolle einnahmen und man stellte außerdem stets Trinkwasser zur Verfügung, das im natürlichen Lebensraum nur sehr sporadisch (im Sommer oft wochenlang gar nicht) zu finden ist. Die Folge waren allerlei Stoffwechselerkrankungen. Besonders gefürchtet dabei ist die so genannte „Höckerbildung“ beim Rückenpanzer (Carapax), bei der jedes Carapaxschild buckelartig aufgewölbt ist. Die Höckerbildung ist zwar nur ein Schönheitsfehler und beeinträchtigt das Tier nicht wirklich, bleibt aber lebenslang erhalten.
So erklärt es sich, weshalb die „Wilde 13“, also die 13 Griechischen Landschildkröten, die zur Zeit in der Hottonia ein großes Freiluft-Terrarium bewohnen, allesamt Männchen sind und viele von ihnen ziemlich huppelige Rückenschilder aufweisen. Diese Tiere schlüpften 1985 und 1989 bei einem begeisterten Terrarianer aus der Umgebung von Frankfurt, sie sind jetzt (2023) also zwischen 34 und 38 Jahre alt und in ihren besten Jahren. Durch den Tod der Halter fiel der Erbin die Wilde 13 zu. Eine so große Herde höckriger Männchen will erst einmal untergebracht sein! Züchter haben keinen Bedarf für solche Tiere, die unbekannten genetischen Linien enstammen (auf fundortreine Populationszucht wurde in den 1980ern nicht geachtet), sie benötigen darüber hinaus kaum Männchen. Die Suche der Erbin nach einer Unterbringung war lange Zeit ergebnislos, sie selbst konnte in ihrer Stadtwohnung diese Tiere keinesfalls unterbringen. Alle Tierheime, Auffangsstationen, Zoos und dergleichen lehnten ab. Auch wir von der Hottonia waren zunächst nicht begeistert, fanden aber dessen ungeachtet, dass der Frau geholfen werden musste. Also übernahmen wir die Wilde 13 und brachten die Schildkröten zunächst bei Vereinsmitgliedern unter, die sie aber nicht dauerhaft behalten konnten/wollten. Darum wurde in der Hottonia das große Freigehege errichtet, in das die Schildkröten Anfang September endlich einziehen konnten.
Nach dem Gutachten für die Mindestanforderung zur Haltung von Reptilien sind für eine Griechische Landschildkröte von 20 cm Bauchpanzerlänge (also ausgewachsene Tiere) 1,28 m2 Terrariengröße (gemeint ist die Grundfläche, die Höhe ist für die rein bodenlebenden Schildkröten nebensächlich) zu veranschlagen. Nun ist das mit solchen Gutachten so eine Sache, sie haben keine wissenschaftliche Grundlage, sondern stellen lediglich die Meinungsäußerungen der Verfasser der Gutachten dar. Darum haben Gutachten keinerlei rechtliche Bindung, auch dann nicht, wenn sie im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurden, wie das hier der Fall ist. Unsere Anlage bietet mit rund 30 m2 Bodenfläche unseres Erachtens genug Raum für eine Herde von 20-30 Tieren. Viel wichtiger als der konkrete Auslaufraum ist ohnehin die Beachtung von sozialen (Un-)Verträglichkeiten, die Beachtung, ob hygienische Grundanforderungen erfüllbar sind (z.B. die Entfernung von Kot und Futterrresten) und ob die Anlage genug Sonnen- und Schattenplätze und Versteckmöglichkeiten bietet. Gleichzeitig muss die Anlage so übersichtlich sein, dass die notwendige Gesundheitskontrolle jedes Tieres in der Anlage ohne Aufwand und unnötige Beunruhigung der Tiere möglich ist. Entscheidend für das langfristige Wohlergehen ist es, den Tieren die Möglichkeit zur optimalen Thermoregulation zu geben. Das bedeutet im konkreten Fall, dass ausreichend Schattenplätze bei heißen Hochsommertagen genau so wichtig sind, wie Sonnenplätze im Frühling und Herbst. Bei starken Regenfällen darf die Anlage nicht absaufen. Selbst bei wochenlangem Dauerregen müssen immer noch vergleichsweise trockene Versteckplätze vorhanden sein, sonst kommt es zu Atemwegserkrankungen und Hautproblemen. Die Gehegeumgrenzung in Form einer Natursteinmauer speichert Wärme, ein entscheidender Faktor in der Nacht. Dadurch kühlt das Gehege nachts viel langsamer aus, als das bei anderen Eingrenzungen (Holz, Glas, Stegdoppelplatten etc.) der Fall wäre. Aufgrund des Klimawandels und der Erfahrung mit der Wetterentwicklung in den letzten 20 Jahren in unserer Gegend (Weinbauklima) ist wahrscheinlich ein Gewächshaus für die Übergangszeiten im Frühling und Herbst nicht zwingend notwendig. Aber es ist trotzdem angedacht, im Anschluss an das Freigehege ein Gewächshaus während der Wintermonate zu erbauen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein; wir brauchen es ohnehin für die Überwinterung empfindlicher Pflanzen, für Futterpflanzenabau, für die Jungtieraufzucht usw.
Noch ist allerlei Feintunig an dem Gehege erforderlich. Die Bepflanzung mit mediterranen Gewächsen ist noch am Anfangsstadium. Bisher sind eine Gruppe besonders frostresistenter Oleander (Nerium oleander, Sorte Margarhita), ein junger Erdbeerbaum (Arbutus unedo), mehrere Büsche Lavendel (Lavandula angustifolia), ein Pfriemenginster (Spartium junceum) und drei junge Feigen (Ficus carica) die wesentlichen mediterranen pflanzlichen Mitbewohner, aber da soll noch einiges hinzukommen. Am Boden sollen größere Rindenplatten noch nackte Stellen verdecken, vor allem da, wo die untergezogene Folie, die ein Durchwachsen der Anlage von unten mit Japanischem Knöterich (Fallopia japonica) und Brombeere (Rubus fruticosus) zumindest erschweren soll, blank liegt. Mehrere Erdwälle müssen noch mit eingepflegten Steinen gestützt werden. Aber die Grundplanung wurde von den Schildkröten als gut befunden und die Tiere führen ihr typisches Landschildkrötenleben. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich das Gehege bewährt. Wir hoffen, vor allem von Diebstählen und ungefragt eingesetzten Abgabetieren verschont zu bleiben. Letzteres ist zum einen wegen der Gesetzeslage problematisch, zum anderen aber auch mit großen gesundheitlichen Risiken verbunden. Es gibt vor allem zwei schwere, unheilbare und oft tödlich verlaufende Infektions-Erkrankungen bei Landschildkröten, eine bakterielle (Upper Respiratory Tract Disease, kurz URTD, der Erreger heißt Mycoplasma aggassizii, weshalb auch manchmal von Mycoplasmose gesprochen wird) und eine viröse (Herpes). Tiere, die diese Infektionen (gelegentlich symptomlos!) überstanden haben, sind Dauerausscheider der Erreger, obwohl sie völlig gesund erscheinen. Ein solches Tier könnte das Ende der Wilden 13 sein, und das wäre doch schade, oder? Außerdem muss der Sozialstruktur der Tiere Respekt geschuldet werden. Ein Weibchen etwa könnte schwere Kämpfe unter den bisher friedlich zusammen lebenden Brüdern provozieren, und ob ein fremdes Männchen so ohne weiteres zu integrieren ist, bleibt ebenfalls fraglich. Aber wenn alles gut geht, dann wollen wir in der Hottonia künftig nicht nur Vermittler und Notaufnahme für Abgabetiere sein, sondern auch Erhaltungszuchten auf Populationsebene bei Landschildkröten durchführen. Denn leider steht es in großen Teilen des Verbreitungsgebietes gar nicht gut um die Testudo-Arten. Der Klimawandel macht ihnen zu schaffen, Waldbrände löschen in kürzester Zeit ganze Populationen aus, in der veränderten Agrarlandschaft finden sie keinen Lebensraum mehr.
Um Landschildkröten für künftige Menschheits-Generationen zu bewahren, ist das Know-How der Terrarianer unverzichtbar. Mit Natur-Romantik (Fangverbote, Haltungsbeschränkungen) ist das nicht zu erreichen. Nur wenn möglichst viele Terrarianer sich mit der Pflege und Zucht dieser interessanten Geschöpfe befassen, besteht ein kleiner Funke Hoffnung, dass die Verhinderung ihrer Ausrottung noch gelingen kann. Wir, die Hottonia, werden unseren Beitrag zu diesem großen Ziel leisten, versprochen!
Frank Schäfer
Bildlegenden:
Die Panzerfärbung von Testudo herrmanni boettgeri ist sehr variabel. Dies sind ältere Nachzuchttiere.
Mein allererstes eigenes Gelege, das war 1984, von zwei verschiedenen Weibchen. Mit weichem Bleistift wurde die Lage des Eis im Boden markiert, damit das Ei in unveränderter Lage in den Brutapparat verbracht werden konnte. Weibchen1 bekam X, Weibchen 2 OX. Als Substrat wählte ich Schaumstoffwürfel. Die Schale wurde mit einer Scheibe abgedeckt und in einem beheizten Aquarium schwimmend bebrütet, wodurch es zu Temperaturschwankungen im Tages-Nacht-Rhythmus kam. Alle Jungtiere schlüpften.
Dies ist die Ausbeute meiner ersten eigenen Zucht 1984.
Alle Jungtiere damals gehörten zur Unterart T. h. boettgeri, wie man an den Bauchschildflecken gut erkennen kann. Bei T. h. hermanni wären die Flecken zu einem soliden Band verschmolzen.
Mein Zuchtpaar T. hermanni hermanni, das ich 1981 erhielt, links das Männchen, rechts (liegend) das Weibchen. Man beachte die unterarttypische Bauchpanzerzeichnung. Die Tiere stammten aus der Umgebung von Rom (Italien).
Hier beginnt der Schlupf eines Jungtieres aus einem Ei meines ersten Geleges. Mit seinem Eizahn, einer Hornspitze auf der Schnauzen-Oberseite, die bald nach dem Schlupf abfällt, hat das Baby ein Loch in die Schale gemacht.
Diese Griechische Landschildkröte fotografierte ich 1990 im natürlichen Lebensraum bei Zadar (Kroatien). Früher wurden solche Tiere einer eigenen Unterart zugeordnet, T. h. hercegovinensis. Derzeit wird diese Unterart nicht anerkannt und als Synonym zu T. h. boettgeri gesehen. Angesichts der Tatsache, dass Landschildkröten seit der Antike vom Menschen im gesamten Mittelmeerraum verschleppt wurden (als Nahrungsmittel und Kinderspielzeug), ist es heutzutage fast unmöglich, zwischen bodenständigen (autochthonen) und fremdstämmigen (allochthonen) Individuen zu unterscheiden.
Mein römisches Zuchtweibchen (T. h. hermanni) mit zwei ihrer Jungtiere. Man erkennt die gelbe Schuppe unterhalb des Auges, ein typisches Rassekennzeichen.
Ein zweijähriges Nachzuchtexemplar von T. h. boettgeri.
Dies sind Bilder von der „Wilden 13“, 13 Nachzuchtmännchen von T. h. boettgeri, die jetzt in der Hottonia leben.
Ein südfranzösisches Tier der Unterart T. hermanni hermanni im Biotop.
Ein einjähriges Jungtier von T. hermanni hermanni.
Zwei prächtige, wildlebende T. hermanni boettgeri im natürlichen Lebensraum.
Im Portrait besonders gut zu erkennen: die für die Unterart T. hermanni hermanni typische gelbe Schuppe unterhalb des Auges.